Die Versuchung ist gross: den Markt schlagen, cleverer sein als der Durchschnitt, ein bisschen wie Warren Buffett investieren und dabei ein Vermögen aufbauen. Wer träumt nicht davon, besser abzuschneiden als der breite Markt? Doch wer sich ernsthaft mit der Theorie und der Realität des Investierens beschäftigt, merkt schnell – das ist leichter gesagt als getan. Die sogenannte Effizienzmarkttheorie behauptet sogar, dass es praktisch unmöglich sei, den Markt dauerhaft zu übertreffen. Ist das also das Ende aller Hoffnungen auf Überrenditen? Nicht ganz. Ein antizyklischer, sogenannter „Contrarian“-Ansatz kann genau dort ansetzen, wo andere nervös werden – vorausgesetzt, man hat die nötige Disziplin.
Warum es so schwer ist, den Markt zu schlagen
Die Effizienzmarkttheorie (Efficient Market Hypothesis, EMH), entwickelt vom Nobelpreisträger Eugene Fama, besagt: In einem funktionierenden Markt sind alle öffentlich zugänglichen Informationen bereits im Preis einer Aktie enthalten. Das heisst: Kein Anleger hat auf Dauer einen systematischen Vorteil – zumindest nicht auf Basis öffentlich verfügbarer Informationen.
In der Praxis zeigt sich das auch ganz konkret: Zahlreiche Studien belegen, dass die grosse Mehrheit der aktiv gemanagten Fonds ihren Vergleichsindex – wie etwa den S&P 500 – über längere Zeiträume nicht schlagen kann. Und diejenigen, die es schaffen, sind oft nicht besser als statistische Ausreisser. Dabei ist es egal, ob man sich auf grosse Fonds, Einzelaktien oder Market Timing verlässt – wer ständig umschichtet oder vermeintliche Gelegenheiten jagt, läuft Gefahr, genau dann zu kaufen, wenn es teuer ist, und zu verkaufen, wenn die Kurse im Keller sind.
Was macht ein Contrarian anders?
Ein Contrarian-Investor tut genau das, was dem menschlichen Bauchgefühl widerspricht: Er kauft, wenn andere verkaufen, und bleibt ruhig, wenn Panik herrscht. Das erfordert Nervenstärke und ein gewisses Vertrauen in die langfristige Erholung der Märkte. Er schwimmt gegen den Strom – und das mit System.
Dieser Ansatz hat prominente Unterstützer: Warren Buffett ist bekannt für seine antizyklischen Käufe. Sein berühmter Ratschlag „Be fearful when others are greedy, and greedy when others are fearful“ bringt es auf den Punkt. Auch Howard Marks von Oaktree Capital ist ein überzeugter Vertreter dieses Denkansatzes. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller hat mit seinen Arbeiten gezeigt, dass Märkte keineswegs immer rational sind – sie übertreiben in beide Richtungen, was genau jene Chancen bietet, die ein Contrarian sucht.
Rücksetzer als Chance verstehen
Rückschläge am Markt sind nichts Aussergewöhnliches – sie gehören zum Investieren einfach dazu. Entscheidend ist, wie man mit ihnen umgeht. Wer Rücksetzer als Kaufgelegenheit statt als Bedrohung betrachtet, ist langfristig klar im Vorteil.
Ein Blick auf die Statistik zeigt:
– Rückgänge von 5–10 % treten im Schnitt 2 bis 3 Mal pro Jahr auf.
– Korrekturen von 10–20 % etwa einmal jährlich.
– Bärenmärkte mit über 20 % Verlust durchschnittlich alle 5 bis 7 Jahre.
Gerade grössere Rücksetzer bieten Chancen für disziplinierte Anleger. Sie werfen nicht panisch das Handtuch, sondern bleiben ihrer Strategie treu oder nutzen die Gelegenheit, um Positionen auszubauen.
Ein klassisches Beispiel ist der Corona-Crash im März 2020. Innerhalb weniger Wochen verlor der S&P 500 über 30 %. Doch wer in dieser Phase kaufte, konnte teils zweistellige Renditen innerhalb eines Jahres erzielen.
Wie du es in der Praxis umsetzen kannst
Ein Contrarian-Ansatz funktioniert nicht impulsiv, sondern strukturiert. Hier einige Empfehlungen:
– Setze Schwellen für Nachkäufe (z. B. bei −10 %, −20 %).
– Halte Liquidität für gezielte Nachkäufe bereit.
– Nutze Rebalancing gezielt, um unterbewertete Positionen aufzustocken.
– Investiere in Qualität, nicht in Spekulation.
Fünfjahresrenditen nach Investitionen in Bärenmärkten
Historisch betrachtet erzielten Anleger, die während eines Rückgangs von 20 % investierten, in den meisten Fällen nach fünf Jahren positive Renditen. Eine Studie über die zehn schlechtesten Kalenderjahre seit 1975 zeigte, dass ein Investment von 100’000 USD im Schnitt auf über 200’000 USD anwuchs – das entspricht rund 15 % pro Jahr. (Quelle: MFS Investment Management, „Market Declines: A History of Recoveries“)

Aber: Es gab auch Ausnahmen. Wer etwa im März 2000 oder Oktober 2007 kaufte, musste bis zu sieben Jahre auf die vollständige Erholung warten – solche Szenarien zeigen, wie wichtig ein langfristiger Anlagehorizont ist.
Ein Blick in die Schweizer Aktiengeschichte
Die Daten seit 1926 belegen: Die durchschnittliche Rendite des Schweizer Aktienmarkts lag bei 7.75 % pro Jahr – in den letzten 40 Jahren sogar über 9 %. Nur sieben Jahre schlossen mit mehr als −20 % ab. Selbst nach solchen Bärenjahren lag die Performance nach spätestens 5 bis 6 Jahren wieder im Plus – teilweise deutlich. Wer nach solchen Rückgängen gezielt Folgeinvestitionen tätigte, konnte die Rendite signifikant steigern.
Fazit
Den Markt zu schlagen ist schwierig – vielleicht sogar unmöglich, wenn man der Theorie folgt. Aber wer diszipliniert, antizyklisch und langfristig denkt, kann überdurchschnittlich erfolgreich sein. Contrarian-Investing erfordert Mut, einen kühlen Kopf und Geduld – aber genau das kann den entscheidenden Unterschied machen.
Wer nach einem Kursrutsch von -20% investiert und mindestens fünf Jahre investiert bleibt, hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – rund 85 bis 90% – am Ende einen Gewinn erzielt.